„Ein Excel-File hat oft wenig
mit der Realität zu tun.“
Das Autohaus Stahl gibt es in Wien schon seit den 1950er-Jahren, seit 2006 leitet Gernot Keusch das Unternehmen als Eigentümer. Seit dem Einstieg seiner Frau Isabella vor 12 Jahren entwickelt sich das Familienunternehmen stetig und nachhaltig weiter, mit der Eröffnung der Zentrale in Wien 22 mit sieben Automarken an einem Standort wuchs man im Sommer 2021 zu einem der größten Autohändler Wien mit insgesamt 120 MitarbeiterInnen an drei Standorten an. motorblockPRO sprach mit Isabelle Keusch über die Autohandelsbranche im Allgemeinen und das eigene, hocherfolgreiche Gegen-den-Strom-schwimmen im Speziellen.
AutoStahl hat sich als Unternehmen in den letzten fünf Jahren immens weiterentwickelt. Wie war der Stand der Mitarbeiter vor fünf Jahren im Vergleich zu heute?
Naja, die genauen Zahlen habe ich gerade nicht im Kopf. Ich denke aber, dass wir um etwa 20 Prozent mehr Mitarbeiter in den letzten Jahren dazugewonnen haben. Eine besonders schöne Sache ist, dass wir während der gesamten Corona-Pandemie niemanden kündigen mussten. Ganz im Gegenteil, durch die Eröffnung unseres neuen Standortes war es uns möglich, viele neue Mitarbeiter ins Team zu holen.
Sie haben ja mit dem neuen Standort ein eindrucksvolles Monument auf die Beine gestellt. Wie lange hat der Bau in seiner Gesamtheit gedauert, ab Planung bis zur Eröffnung?
Das gesamte Projekt hat im Dezember 2019, die weitergehende Planung wurde durch Einflussfaktoren wie die fortlaufende Pandemie oder den Krieg in der Ukraine jedoch deutlich erschwert. Unsere Eröffnung haben wir dann im Juli 2021 feiern dürfen.
Sie haben quasi mitten in, milde ausgedrückt, schwierigen Zeiten voll am Gas bleiben müssen, entgegen allen Trends und sicher auch Ratschlägen …
Um ganz offen zu sein – es war nicht immer leicht. Auch meine Nächte waren teilweise schlaflos, alles andere wäre eine Lüge. Jedoch war für uns alle klar, dass wir an diesem Weg festhalten werden. Wir glauben daran, dass eine hochwertige Kunden-Experience immer wichtiger wird. Nicht zuletzt, weil ein Autokauf ja für die meisten unserer Kunden nach dem Eigenheim die zweitteuerste Investition im Leben darstellt.
Ihr Unternehmens-Modell schwimmt ja eher gegen den Strom. In Zeiten von Online-Kauf und verschiedensten Abo-Modellen ist Expansion ja etwas, wo die meisten Branchen-Kollegen Abstand halten würden. Was hat Sie als Unternehmen dazu ermutigt, diesen neuen Standort einzurichten?
Ich denke es ist besser die ganze Thematik mehrdimensional zu betrachten. Man muss in unserer Branche, denke ich, zwischen zwei Modellen unterscheiden. Es gibt entweder kleine Familienbetriebe, wo Mama, Papa und die Kinder alle mit dabei sind, im Sinne von: Der Vater steht in der Werkstatt, die Mutter hält die Bücher und der Sohn macht den Verkauf und darüber hinaus ist auch keine wirkliche Veränderung geplant. Oder man hat ein Modell, so wie es auch bei uns der Fall ist, wo wir mit einer gewissen Größe auch für die Hersteller relevant werden. Das bietet auch einen klaren Vorteil für unsere Kunden, besonders wenn noch nicht klar ist, für welches Fahrzeug überhaupt Interesse besteht. So können die Konsumenten die Beratung unserer Mitarbeiter nutzen und zwischen verschiedenen Varianten entscheiden. Besonders beim Thema Elektroauto ist die persönliche Beratung sehr wichtig, um das Vertrauen in die und das Wissen um die Technologie zu vermitteln. Und dafür braucht es die notwendige Infrastruktur.
Die Basis-Marken war ja meines Wissens nach Honda und Land Rover. Heute halten wir bei sechs … oder sieben?
Ganz genau, Honda gibt es bei uns schon immer, genauso wie Land Rover uns schon ganz lange begleitet. Ich denke für uns waren Jaguar und Land Rover die Initialzündung dazu, Möglichkeiten zu erkennen, wie man das Unternehmen ausbauen könnte. Man muss auch sagen, dass mein Mann Gernot das Sortiment immer wieder bewusst neu aufgestellt hat, durch unseren Erfolg sind ansererseits aber auch andere Marken auf uns aufmerksam geworden.
Aktuell gibt es bei euch Honda, Jaguar, Land Rover, Kia, Ford, Volvo und Mazda. Wie gerne sehen sich die einzelnen Importeure mit so vielen anderen Marken gemeinsam unter einem Dach?
Ich denke, dass kann man so gar nicht pauschal beantworten. Manche Hersteller sehen die Vielfalt nicht so gerne, andere sehen darin kein Problem, eher im Gegenteil. Ein gesunder Wettbewerb schadet jedenfalls nicht. Als Monobrand-Händler können schwierige Situationen wie beispielsweise die Lieferengpässe zu Corona-Zeiten schnell zu einer existentiellen Notlage führen. Die Marken erkennen daher immer wieder, dass ein starker Händler mit mehreren Marken eher ein Vorteil für sie sein kann. Wir haben eine sehr große Bandbreite, von hochexklusiven Autos wie einem 200.000 Euro teuren Range Rover bis zu E-Kleinstwagen oder auch reinen Nutzfahrzeugen bei Ford, wir können wirklich fast jedem Kunden ein passendes Fahrzeug anbieten. Ein echter One-Stop-Shop sozusagen. Und das bedeutet im Umkehrschluß: Sobald jemand in unserem AutoStahl-Universum integriert ist, treibt dies den Verkauf der anderen Marken ganz von alleine an.
Thema Service – wie schafft ihr als Anbieter von vielen verschieden Marken die Abgrenzung unter den Brands in der Werkstätte?
Bei uns gibt es dazu drei Perspektiven: Die des Herstellers, die des Händlers und die des Kunden. Die Hersteller möchten oft ihr eigenes „Universum“, eigene Hallen nur für die eigene Marke haben, besonders im Service-Bereich. Das macht natürlich auch Sinn, jede Brand-Identity ist verschieden und möchte individuell gesehen werden. Da versuchen wir mit unseren Möglichkeiten Herr der Lage zu werden – auch wenn die Vorstellungen der Hersteller bisweilen schwer mit der Arbeitsrealität zu vereinbaren sind. Für uns als Händler ist wesentlich, dass immer der richtige und beste Service-Mitarbeiter für genau diese Marke ideal geschult ist, weil unser oberstes Gebot ist immer die Zufriedenheit unserer Kundschaft. Und der wiederum ist es, zumindest hätte ich noch nie etwas gegenteiliges erlebt, völlig egal, in welcher Halle ihr Fahrzeug neben welchem anderen auf der Hebebühne steht. Hauptsache es wird gut und nachhaltig versorgt.
Man hört immer wieder, dass einige Importeure der Meinung sind „Wozu brauche ich noch einen Händler?“ In unseren digitalen Zeiten gehen viele zu Online-Kauf oder Abo-Modellen über. Wie sehen Sie diese Entwicklung und welche Erfahrungen haben Sie als Unternehmen damit gesammelt?
Gleich vorweg – als wir den neuen Standort geplant und gebaut haben, waren diese Überlegungen seitens der Hersteller wahrscheinlich schon am Laufen, nur hat man da noch nie was von einem „Agenturmodell“ gehört. Unser Projekt war von Anfang an eine Zusammenarbeit mit mehreren Herstellern, die jeweiligen Schauräume waren fix für sie geplant. Erst in den letzten Monaten ist seitens der Importeure mehr in diese Richtung passiert, da hatten wir bereits offen.
Was ist der Grund für diese Überlegungen seitens der Hersteller? Hat hier die Pandemie ein Umdenken bewirkt, in Richtung, alles geht von zu Hause aus, wenn man nur online ist?
Ich arbeite lange, auch vor meiner Zeit im Autohandel, in großen, internationalen Unternehmen und weiß daher ganz gut, glaub ich, wie Konzerne denken. Die Verantwortlichen dieser Firmen sind oft sehr weit weg vom eigentlichen Geschäft und Entwicklungen auf einer Excel-Tabelle von Feld zu Feld zu verschieben, ist ziemlich einfach. Was oft im Zahlenspiel vergessen wird, sind viele kleine und unberechenbare Einflussfaktoren, die aber im echten Leben alles auf den Kopf stellen können. Ich habe da einige Beispiele erlebt, wo sich Theorie und Praxis nicht mal im selben Universum befanden.
Allerdings möchte ich festhalten, dass ich für Fortschritt bin, das alles hat nichts mit „früher war alles besser“ zu tun. Das Rollenbild im Autohandel wird sich, wie so vieles anderes auch, definitiv ändern. Ich denke aber, dass es bessere Ansätze gibt als den klassischen Autohändler auszustechen. Provokant ausgedrückt: Eine Unterschrift am Kaufvertrag kriegt man schnell. Da muss man schnell sein, einer Studie zufolge kommt ein Autokäufer insgesamt 1,6 Mal in den Store, bis er sich entscheidet, er ist also schon vorab gut informiert. Aber dann geht die eigentliche Arbeit des Händlers los, dann beginnt der Service. Noch dazu jener, der nicht bezahlt wird. Besonders bei gut ausgestatteten Modellen oder auch bei den Elektroautos sind nicht alle Funktionen sofort erklärt. Die Kunden kommen mehrere Male, haben zig Fragen, lassen sich ihr Auto bis ins Detail aufschlüsseln. Da kommen unsere Kundenbetreuer ins Spiel, welche bestens geschult auf alle Modelle in unserer Palette sein müssen. Und dann kommt der After Sales-Bereich zum Tragen. Service, Reparaturen … und genau das macht dann den Unterschied. Ob ich mich persönlich betreut fühle, oder ob ich in einer Warteschleife oder im Online-Chat hänge für Stunden, wenn ich ein Problem habe.
Ist es für Sie aktuell wie in vielen Branchen ein Problem, gute neue Mitarbeiter zu finden?
Das Thema macht uns tatsächlich zu schaffen. Am Ende des Tages sind wir Dienstleister, das bringt Sachzwänge im Jobablauf mit sich. Ich kann unseren Mitarbeitern leider kein Homeoffice anbieten, sogar die Kernarbeitszeiten werden uns von den Herstellern vorgeschrieben. Hier kann ich die Flexibilität, die sich viele Menschen am Arbeitsmarkt wünschen, nicht bieten. Auch Mitarbeiter mit einem selbstverständlich guten Umgang im Kundenkontakt und mit der richtigen Expertise werden immer gesucht und sind schwer zu finden. Wir haben das Glück, über die Jahre viele Lehrlinge auszubilden, um unsere Existenz auch für die Zukunft sicherzustellen.
Wie viele Flottenkunden haben Sie und von welcher Flotten-Größe sprechen wir da?
Bislang lag unser Fokus, dem Markenportfolio geschuldet, eher im privaten Gebrauch. Durch die Marke Ford ändert sich der Fokus aber gerade, und wir bekommen die Möglichkeit auf B2B Kunden zuzugehen. Durch die bekannten Lieferengpässe zu Coronazeiten haben wir einige Kunden von Fremdmarken dazugewinnen können, auch von der Flottengröße her haben wir die notwendige Kapazität und Kompetenz, nahezu alle Bedürfnisse abzudecken. Wir haben bei der Planung des neuen Standortes ganz bewußt eine große Lackierer- und Spenglerei dazu gebaut, was uns auch über Leasingfirmen einige Fremdmarken bringt. Das gibt uns wiederum die Möglichkeit mit neuer Kundschaft in Berührung zu kommen.
Thema Gebrauchtwagen: Wir sehen gerade alle einen starken Anstieg bei den Preisen, aber auch lange Stehzeiten? Ist der Gebrauchtwagenmarkt gerade in einer Preis-Blase?
Viele Neuwagen-Käufer versuchen ihr Auto aktuell lieber privat zu verkaufen, weil sie sich einen besseren Verkaufspreis erwarten, dadurch kommen wir schwerer zu Eintauschfahrzeugen. Auch ist die Preisbewertung aufgrund der Unwägbarkeiten bei den Lieferzeiten sehr schwierig. Dadurch haben wir im Moment weniger Gebrauchte als üblich. Eine Blase ist es aus meiner Sicht noch nicht – Schuld am Anstieg sind meiner Meinung nach die langen Lieferzeiten der Hersteller. Dadurch fahren die Kunden jetzt noch länger mit ihren Autos.
Hat sich das Verhalten des Konsumenten durch die Pandemie verändert?
Ja, ich denke das Verhalten ist um einiges aggressiver geworden. Aber das ist denke ich nicht nur auf die Corona-Pandemie rückzuführen, aktuell gibt es ja einige andere Einflussfaktoren in unserem Makrokosmos, die für eine angespannte Lage sorgen. Gleichzeitig haben wir in letzter Zeit auch viele positive Rückmeldungen erhalten. Die Kunden setzen sich hin und schreiben nette Emails, nehmen sich die Zeit für eine gute Google-Bewertung, das war auch nicht immer so. Und freut uns dann natürlich besonders.
16.03.2023
Erschienen: MotorBlockPro Ausgabe April 2023 und Online am 16.3.2023